Sonntag, 5. Juni 2011

Rafael Cortés - Ein Mann und seine Gitarre - Ruhrgebiet NRW: Ruhrportal.de

Rafael Cortés - Ein Mann und seine Gitarre - Ruhrgebiet NRW: Ruhrportal.de

Rafael Cortés - Ein Mann und seine Gitarre

Rafael Cortés - Ein Mann und seine Gitarre

 
 Fr. 27.11.2009, Autor: schlanstedt
 
„Einer der größten Hoffnungsträger der internationalen Flamenco-Szene“, so lautet das Urteil der Presse über den 33-jährigen Ausnahmegitarristen Rafael Cortés. Bei seinem letzten Konzert in der Essener Lichtburg gab es wieder einmal Standing Ovations für den gebürtigen Essener. Rafael Cortés hat das geschafft, was im Ruhrgebiet nur wenigen Musikern gelingt, den Sprung in die internationale Musikszene. Ruhrportal.de wollte Rafael Cortés näher kennen lernen.
Gabriele Labatzki sprach mit Rafael Cortés

Herr Cortés, Ihre familiären Wurzeln befinden sich am Fuße der spanischen Sierra Nevada, genauer gesagt in Granada. Aufgewachsen sind Sie in Essen. Wie gelingt Ihnen der mentale Spagat zwischen mediterranem Flair und nüchterner Industriekultur?
Rafael Cortés: Ich bin hier geboren worden. Meine Eltern haben zwar in Essen gewohnt, aber die ganzen Spanier hier sagten damals halt, das beste Krankenhaus für Geburten sei in Gelsenkirchen-Horst und deshalb bin ich dort geboren. Mein Zuhause in Essen war immer wie eine Insel. Da hat man die Tür zugemacht und war in Spanien. Spanische Mentalität, spanische Musik, aber wenn man das mit der Mentalität der Menschen im Ruhrgebiet vergleicht, ist das irgendwie gleich. Hier gibt es sehr viele Parallelen. Die Menschen sind sehr ehrlich und sehr direkt.
Ruhrportal.de: Also bedeutet das für Sie kulturell keinen Bruch, wenn Sie in Spanien sind und die dortige Mentalität mit der des Ruhrgebiets vergleichen?
Rafael Cortés: Ich habe es mal probiert und war in den 90er Jahren ein halbes Jahr in Spanien im Haus meiner Mutter. Ich habe dort sehr viele Konzerte gegeben und gespielt und ich habe dort gelebt, wie man es sich gemeinhin wünscht. Ich bin aus dem Haus raus und habe mir auf dem Weg zum Strand eine Orange vom Baum gepflückt. Jeden Tag am Strand, alles, was man sich vorstellen kann. Und nach einem halben Jahr habe ich gemerkt, dass ich Heimweh hatte. Man vermisst komischerweise Sachen, die man hier gar nicht wahrnimmt. Schwarzbrot oder die Straßenbahn zum Beispiel. Wenn ich nach einem stressigen Konzert nach Spanien kommen würde, würde ich mir denken, jetzt warten sie alle und jetzt geht die Fiesta weiter. Hier komme ich in mein Häuschen und ich habe Ruhe. Und ich glaube das brauche ich.
Ruhrportal.de: Fühlen Sie sich denn jetzt eher wie ein Spanier im Ruhrgebiet oder wie ein Essener mit spanischen Wurzeln?
Rafael Cortés: Das ist eine schwere Frage. Ich fühle mich schon als Spanier, aber ich mag das Leben hier mehr.
Ruhrportal.de: Wenn Sie die kulinarische Wahl zwischen Pommes und Currywurst oder Calamares à la Romana und einem herrlichen Serano-Schinken hätten, was würden Sie wählen?
Rafael Cortés: Jetzt haben Sie mich aber erwischt. Das wurde ich noch nie gefragt. Schwer, ich glaube ich würde beides nehmen.
Ruhrportal.de: Welche Bedeutung hat das Ruhrgebiet für Sie und wie würden Sie das Leben als Musiker hier beschreiben.
Rafael Cortés: Ich kenne ja beide Seiten des Musikerlebens. Ich kenne die Seite der schweren Zeiten, ich kenne aber auch die Seite der guten Zeiten. Ich hatte einmal eine ganz schwere Zeit. 1997 habe ich mir eine Hand gebrochen, ein Trümmerbruch. Ich konnte nicht mehr spielen, keine Musik mehr machen. Ich war damals 23 Jahre oder 24 Jahre, meine Tochter war gerade geboren. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich musste irgendwie Geld verdienen und habe in einem Getränkemarkt bei einem Freund ausgeholfen. Aber mit viel Disziplin und eisernem Willen ging es wieder gut. Meine Muskulatur als Gitarrist war mein großes Glück, so ist der Knochen schneller geheilt, als der Muskel abgebaut hat. Die guten Zeiten kamen einfach automatisch durch harte Arbeit und irgendwie auch durch Schicksal.
Ruhrportal.de: Gibt es Unterschiede zwischen Ihren Konzerten im Ruhrgebiet und im Ausland?
Rafael Cortés: Im Ruhrgebiet gibt es kaum große Auftrittsangebote. Ich spiele hier in der Lichtburg und wir müssen uns echt anstrengen, wenn wir werbetechnisch tausend Leute dort hinkriegen wollen. Ich war beispielsweise in Polen auf Tournee und es waren, glaube ich, 14 oder 15 Konzerte. Alle Philharmonie-Häuser waren ausverkauft. Es war unglaublich. In Spanien spiele ich ebenfalls vor vollen Häusern. Jetzt bin ich demnächst in Russland, USA wird nächstes Jahr sein und die Konzerte sind jetzt schon fast ausverkauft. Ich finde es schade, dass es hier so schwer ist, denn gerade das Ruhrgebiet ist ja so dicht besiedelt.
Ruhrportal.de: Ihre Erklärung dafür? Warum gibt es hier so wenige Auftrittsmöglichkeiten?
Rafael Cortés: Ich glaube die Menschen sind zum einen kulturell ungebildet und zum anderen übersättigt. Viel Kultur wird auch den Leuten vorbehalten, die ein bisschen mehr im Portemonnaie haben. Das ist leider so. Oft geben die Leute auch einfach lieber 5 Euro bei McDonalds aus, anstatt sich ein schönes Konzert anzuschauen.
Ruhrportal.de: Bei Ihrem Konzert in der Essener Lichtburg ist mir aufgefallen, dass nur wenig junges Publikum im Saal war? Glauben Sie, dass die traditionelle Flamenco-Musik die Jugendlichen von heute noch ansprechen kann?
Rafael Cortés: Ja klar. Ich mache ja keinen traditionellen Flamenco. Das Wort Tradition ist ja immer gefährlich. Wenn man traditionell spielen soll, meint man meist altmodisch. In Spanien hat der Flamenco sehr viele junge Leute mitgezogen. Es kommt sehr viel nach von jungen Leuten, jungen Sängern und Musikern. Hier in Deutschland haben wir immer weniger Spanier, die fahren alle wieder zurück nach Hause. Es gibt aber auch viele deutsche Flamenco-Künstler. Flamenco kommt aus der sozialen Unterschicht in Spanien, vergleichbar mit dem Blues. Diese Leute hatten zwar nicht viel Bildung, aber sie waren halt sehr ehrlich und haben die Musik mit dem Herzen gespielt. Und so etwas kann man nicht lernen. Das fehlt eben vielen Menschen.
Ruhrportal.de: Was glauben Sie fasziniert Ihre Fans an Ihrer Musik am meisten?
Rafael Cortés: Es gibt eine schöne Geschichte. Der Produzent von Paco de Lucia, bei dem ich in einem Studio in Madrid aufgenommen habe, sagte mal zu mir, "sei froh, dass du nicht in Spanien lebst". Die Gitarristen hier klingen irgendwo alle gleich. Ich glaube mein Glück, was ich hatte, war, dass ich hier groß geworden bin. Ich habe Freunde die kommen aus dem Libanon, ich habe Freunde, die kommen aus Marokko, aus der Türkei aus Albanien. Und überall läuft Musik und ich war immer sehr neugierig. Hier hat man einfach mehr Möglichkeiten, sich in andere Kulturen reinzuhören und ich glaube, das prägt einen. Man hört aus meiner Musik einfach alles heraus. Wobei meine Sprache aber schon der Flamenco ist und das hört man überall heraus. Ich könnte ein Jazz-Standard spielen und es würde immer nach Flamenco klingen.
Ruhrportal.de: Können Sie sich noch an Ihr erstes Solokonzert in der Zeche Carl erinnern?
Rafael Cortés: Und wie. Ich war damals mit meinen Kumpels auf dem Zechengelände Fußball spielen. Ich muss so 9 oder 10 Jahre alt gewesen sein. Ein guter Freund von mir sagte dann zu mir, "Mensch Rafael spiel' doch auch mal hier". Da gehen immer Leute mit einer Gitarre rein und raus und du kannst doch auch spielen. Ich bin dann total schmutzig vom Fußballspiel zu dem Konzertveranstalter gegangen und habe mich vorgestellt. Ich habe einfach gefragt, ob ich auch mal ein Konzert spielen dürfte. Er fragte mich dann, was ich spiele und ich bin nach Hause gefahren und habe meine Gitarre geholt. Ich habe ihm vorgespielt und er sagte nur zu mir „Wo ist dein Papa?“. Ein halbes Jahr später habe ich mein erstes Konzert in der Zeche Carl gespielt.
Ruhrportal.de: Welchen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nicht dieses außergewöhnliche musikalische Talent besitzen würden?
Rafael Cortés: Sie haben ja Fragen. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen. Ich kann nichts, ich kann nur Gitarre spielen. Ich wüsste nicht, was ich anderes hätte machen sollen.
Ruhrportal.de: Folgt man einem spanischen Sprichwort, wird derjenige, der am 21. Dezember geboren wird, entweder Musiker oder Bandit? Was ist denn nun aus Ihnen geworden?
Rafael Cortés: Ich glaube an dem Sprichwort ist nichts dran. Ich bin weiß Gott kein Bandit. Eben ein netter Kerl.
Ruhrportal.de: Auf Ihrer Internetseite bieten Sie seit neuestem digitalen Gitarrenunterricht an. Wie viele Unterrichtsstunden müsste ich als Anfängerin bei Ihnen online einplanen, um so gut zu spielen wie Sie?
Rafael Cortés: Gute Frage wieder. Wie ehrgeizig sind Sie? Paco de Lucia hat mal einen sehr schlauen Satz gesagt. Das war für mich eine Inspiration. Er sagte, „wenn man 80% Inspiration hat, braucht man 20% Transpiration und wenn man 10% Inspiration hat, braucht man 90% Transpiration". Man kann auch ohne Talent viel erreichen und da ist was dran. Aber ich würde Ihnen empfehlen Unterricht immer persönlich. Das mit dem Online-Unterricht war so eine spontane Idee zu der ich mich habe überreden lassen. Ich habe aus der ganzen Welt Anschriften bekommen, habe es aber letztendlich nicht gemacht.
Ruhrportal.de: Wie erklären Sie jemandem, der noch nie etwas von Flamenco gehört hat, das Charakteristische dieser Musik?
Rafael Cortés: Flamenco ist eine der Musikarten, die sehr rhythmisch sind. Beim Flamenco steht der Rhythmus im Vordergrund. Flamenco beinhaltet wirklich alle Formen von Emotionen. Fast alle Klassiker zum Beispiel haben Probleme mit dem Rhythmus und versuchen das zu überspielen. Und wir denken uns, wenn der Ton nicht klappt, dann ist es eben rhythmisch. Bei uns steht der Rhythmus im Vordergrund. Meine Musik ist zu 70% Improvisation, aber man muss sich rhythmisch sehr, sehr sicher sein.
Ruhrportal.de: Herr Cortés, wenn sie jetzt demnächst wieder in den Urlaub nach Spanien fahren. Welches typische Revier-Souvenir würden Sie an Ihre Freunde dort verschenken?
Rafael Cortés: Ich glaube ich würde eine kleine Statue mit einer Zeche darauf oder so ein Bergarbeiter-Bild mitbringen. Diese Sachen aus Guss.
Ruhrportal.de: Wenn Sie spontan über das Revier nachdenken, was hat für Sie Suchtpotenzial, was würde Ihnen bei Abwesenheit sehr fehlen?
Rafael Cortés: Wenn ich auf Tournee bin, in irgendwelchen 5-Sterne-Hotels und dort betüddelt werde, das ist nicht das reale Leben. Ich war letztens auf Schloss Elmau und habe auf dem European Jazzfestival gespielt. Wir haben da eine Nacht auf Schloss Elmau, eines der führenden Hotels überhaupt, verbracht. Dann kam ich nach Hause, habe meine Gitarre aus dem Auto geholt und meinen Nachbarn getroffen. Der sagte dann „na spielste noch Gitarre?“. Das ist das, was mir hier gefällt. Für meinen Nachbarn werde ich nicht als Prominenter oder Musiker geschätzt, sondern als Mensch. Und das ist das Typische am Ruhrgebiet. Die Menschen sind sehr ehrlich. Die Menschen und diesen Charme des Ruhrgebiets würde ich immer vermissen. Ich würde hier nie wegziehen.
Ruhrportal.de: Wenn Sie die Wahl hätten, einen Musiker zu treffen. Mit wem würden Sie gerne mal einen Rotwein trinken?
Rafael Cortés: Wissen Sie, mit wem ich gerne ein Glas Wein trinken würde, das wäre so ein Traum. Ich glaube, ich würde dieser Frau Löcher in den Bauch fragen, weil Sie sehr versiert in dem Thema ist. Anne-Sophie Mutter. Ich würde mit ihr über Mozart reden.
Ruhrportal.de: Ihr Großvater hat Ihnen die erste Gitarre geschenkt. War das ein wichtiger Auslöser für Sie?
Rafael Cortés: Ich glaube, es war der Auslöser. Sie müssen sich vorstellen, mein Großvater hatte knapp an die 20 Enkelkinder und keiner wollte irgendwas mit Musik machen. Ich war der Einzige. Ich kam mit fünf Jahren zu meinem Opa nach Hause und habe ihm was vorgespielt. Er war so bewegt und hat mich sofort zu den alten Gitarrenbauern im Viertel gebracht. Ich musste die Hände aufhalten und würde überall gemessen. Drei Monate später hatte ich meine eigene selbstgebaute Gitarre. Ich habe von da an nur noch Gitarre gespielt. Das war der ausschlaggebende Punkt, meine erste eigene Gitarre.

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